Auf literarischer Tuchfühlung in Manchesters John Rylands Library

Schon von außen wirkt die John Rylands Library in Manchester nicht wie ein klassisches Bibliotheksgebäude. Mit ihren neugotischen Türmchen, Erkern und Spitzbögen erinnert das spätviktorianische Bauwerk mehr an eine Kathedrale. Viel zu filigran sind die Steinmetzarbeiten, als dass Sie hier an die Bücherei einer Universität denken würden. Und doch ist die John Rylands Library in Manchester einer von mehreren offiziellen Bibliotheksstandorten der University of Manchester. Die Studierenden, die zum Recherchieren und Lernen hierherkommen, sind jedenfalls zu beneiden. Jedes Mal, wenn sie die alten Gemäuer betreten, verschluckt das monumentale Gebäude die Geräusche der Stadt und verwöhnt sie mit einem Raum der Ruhe, in dem Wissen, Tradition und Geschichte lebendig werden.

Benannt wurde die Bücherei nach John Rylands, einem der erfolgreichsten Industriellen Manchesters im 19. Jahrhundert. Er machte sein Vermögen vor allem mit der Baumwollproduktion und wurde zum ersten Multimillionär der Stadt. Sein Tod 1888 traf seine Frau Enriqueta Rylands hart. Sie beschloss, ihrem geliebten Gatten ein Denkmal zu setzen, und ließ in einem der damals ärmsten Viertel der Stadt die imposante John Rylands Library errichten. Zehn Jahre sollte es dauern, bis die Bibliothek im Jahr 1900 eröffnet wurde. Seitdem ist sie ein Zentrum des Wissens, das allen Menschen – ob reich oder arm, jung oder alt – offensteht.

Wie großzügig John Rylands Ehefrau beim Bau dieses neugotischen Meisterwerks war, spüren Sie bei Ihrem Besuch bis heute. Enriqueta scheute weder Kosten noch Mühen und begleitete ihr Architektenteam auf Schritt und Tritt. Kurz vor und wenige Jahre nach der Eröffnung griff sie dann noch einmal tief in die Taschen und erwarb für mehrere 100.000 Pfund zwei Bücherkollektionen aus privater Hand. Sogar in ihrem Testament bedachte die Gönnerin das Haus mit einer großzügigen Summe, die den Erwerb von vielen weiteren Büchern ermöglichte.

Dass die Bibliothek einer Kathedrale ähnelt, ist übrigens kein Zufall: Enriqueta Rylands wollte „a cathedral to knowledge“, eine Kathedrale des Wissens, erschaffen. Und das ist ihr gelungen. Obwohl die John Rylands Library in Manchester vom Architekten Basil Champneys als öffentliches Gebäude gestaltet wurde, lässt sie architektonisch keine Wünsche übrig. Die Liebe zum Detail ist beeindruckend und sorgt dafür, dass Sie bei jedem Besuch an den Wänden, in den Spitzbögen und sogar an den Gewölbedecken und den Verkleidungen der Heizkörper etwas Neues entdecken werden. Sich Zeit zu nehmen und genau hinzuschauen, zahlt sich also aus!

Achten Sie zum Beispiel auf die Wandleuchten in den Gängen. Sie sind einer Baumwollblüte nachempfunden und erinnern daran, aus welcher Branche das Geld für den Prunkbau Ende des 19. Jahrhunderts kam. Auch nach oben sollten Sie Ihren Blick immer wieder gleiten lassen. Entdecken Sie die Drachen in den Säulengängen? Im großen Lesesaal sind sie fast zu weit weg, um Details zu erkennen. Die hallenartige Raumflucht mit hohen Fenstern, geschnitzten Holzregalen, Lesepulten und kleinen Leselampen, die im Halbdunkeln warme Lichtpunkte zeichnen, flößt beim Betreten regelrecht Ehrfurcht ein. Ganz automatisch werden Sie hier die Stimme senken, um den ehrwürdigen Hallen den gebührenden Respekt zu zollen. Dieser Raum ist der perfekte Ort, um kurz innezuhalten.

Hinter der dramatischen Kulisse der John Rylands Library in Manchester verbirgt sich eine der beeindruckendsten Sammlungen seltener Bücher und Handschriften Europas. Besonders berühmt ist das sogenannte Johannesfragment, das vermutlich älteste erhaltene Stück des Neuen Testaments. Es ist nur wenige Zentimeter groß, aber von immenser weltgeschichtlicher Bedeutung. Dazu kommen kostbare Papyrusfragmente aus Nordafrika, mittelalterliche, reich illuminierte Handschriften, eine Gutenberg-Bibel und frühe Drucke wie eine Caxton-Ausgabe der Canterbury Tales.

Und das Beste: Die Präsentation dieser Schätze ist alles andere als trocken und akademisch. Die Kuratoren möchten Erlebnisse schaffen und bieten wechselnde Ausstellungen, in denen sie den Zusammenhang ihrer Schätze mit Themen wie Stadtgeschichte, Religion, Wissenschaft oder Literatur herstellen. So machen sie aus einem historischen Archiv ein lebendiges Kulturerbe, das Sie selbst dann fasziniert, wenn Sie sich selbst nicht als Bücherratte oder Historiker beschreiben würden.

Sobald Sie den modernen Zubau, durch den Sie die John Rylands Library betreten, verlassen und den hellen Steinboden im alten Gemäuer betreten, werden Sie verstehen, warum sich viele Menschen hier wie in Hogwarts fühlen. Spätestens im großen Lesesaal scheinen die schwebenden Kerzen und langen Tische nicht mehr weit entfernt. Gedreht wurde die Fantasy-Reihe hier zwar nicht, aber die neogotische Architektur versetzt Sie trotzdem in die märchenhafte, mystische Welt, die Potterheads so lieben.

Für alle, die keine Fans des jungen Magiers von J. K. Rowling sind, punktet die drittgrößte akademische Bibliothek des Vereinigten Königreichs als Oase der Ruhe inmitten der City. Das Einzige, was sie hören, sind die Schritte der anderen Besucher, das Rascheln von Seiten und das leise Surren der Handykameras. Lassen Sie die Gänge, Säle und Hallen auf sich wirken und lesen Sie den einen oder anderen der alten Buchrücken, die hinter Glas ausgestellt sind. Ein Besuch in der John Rylands Library in Manchester ist wie eine kleine mentale Auszeit, die wir uns in unserem hektischen Alltag durchaus öfter einmal gönnen sollten.

Die John Rylands Library liegt zentral in der Deansgate 150 im Herzen von Manchester. Sie ist Teil des John Rylands Research Institute and Library der University of Manchester und befindet sich am Rand des trendigen Spinningfields-Viertels.

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag von 10 bis 17 Uhr

Eintritt: kostenlos (um eine Spende wird gebeten), Führungen oder Veranstaltungen können kostenpflichtig sein

Anreise: zum Beispiel mit der Straßenbahn „Metrolink“ bis St Peter’s Square oder mit Bus 1 oder 2 ab Piccadilly Station

Die Bibliothek gehört zu den am meisten besuchten Sehenswürdigkeiten in Manchester. Planen Sie daher in der Hauptreisezeit im Sommer ein wenig mehr Zeit ein, da die Besucherzahlen bei großem Andrang reguliert werden und es vorkommen kann, dass Sie am Eingang ein wenig warten müssen.

Die Bibliothek liegt so zentral, dass Sie Ihren Besuch wunderbar mit einem Stadtbummel kombinieren können. Schlendern Sie anschließend durch die eleganten Straßen von Spinningfields, spazieren Sie am Kanal entlang oder besuchen Sie die nahegelegene Manchester Art Gallery. Auch den Albert Square mit der neogotischen Manchester Town Hall im historischen Zentrum der Stadt erreichen Sie fußläufig in wenigen Minuten von der John Rylands Library aus.

Wenn der Hunger ruft, können Sie sich im Bibliotheks-Café „Enriqueta's“ mit Kaffee und Kuchen stärken, während Sie den Kontrast zwischen Glasfassade und historischem Gemäuer auf sich wirken lassen. Oder Sie kehren in einem der vielen Cafés, Pubs und Restaurants in der Umgebung ein. Einen besonderen Ausblick über die Piccadilly Gardens genießen Sie zum Beispiel vom Restaurant im Mercure Manchester Piccadilly Hotel aus, das nur wenige Gehminuten von der Bibliothek entfernt ist.

Die John Rylands Library in Manchester ist definitiv einen Besuch wert. Sie begeistert nicht nur Architekturliebhaber und Potterheads, sondern entführt mit ihrer sakral angehauchten Atmosphäre und dem gut erhaltenen Interieur aus dem späten 19. Jahrhundert alle Besucher in eine Welt, in der Bücher eine magische Aura haben. Immerhin beherbergt die Bibliothek eine der spannendsten Bibliothekssammlungen Europas und ist ein Ort, der Ihnen mitten im modernen Manchester ein Gefühl von Stille, Staunen und Inspiration schenkt. Möchten Sie das besondere Ambiente selbst erleben?

Freuen Sie sich auf Ihre wohlverdiente Auszeit in der einzigartigen John Rylands Library.